Was ist das denn für ein Titel??? Na, zugegeben ich habe mich von der Äußerung des Präsidenten des deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus „inspirieren“ lassen, der in einem Interview vor der „totalen Digitalisierung des Unterrichts warnt“ und ihr „eine Reihe an möglichen Kollateralschäden“ zuspricht.
Schule – Lehrerverband warnt vor "totaler Zwangsdigitalisierung" An welche Schulen denkt Herr Kraus? #edchatde http://t.co/Z1M6a7mCJA
— André J. Spang (@Tastenspieler) February 26, 2015
@SvenVolmering, der gestern in einer Pressemeldung bereits von Schule4.0 gesprochen hat, sieht und kommentiert das auf Twitter auf meine Nachfrage hin ganz angemessen und unaufgeregt und spricht von einer „Bedienung von Ängsten“:
@Tastenspieler Die will doch gar keiner. Bedienung von Ängsten.
— SvenVolmering (@SvenVolmering) February 26, 2015
Die @EskenSaskia, die sich, wie Sven Volmering auch vor allem für den Bereich digitale Bildung und ganz speziell für freie Bildungsmaterialien (#OER) engagiert und die ich ebenfalls angetwittert habe, sieht diese Äußerung sogar als eine Art „Panikmache“:
@Tastenspieler @LSMueller was soll man dazu noch sagen? Ich empfehle dem Herrn Kraus, seine Sprache abzurüsten – das ist Panikmache.
— Saskia Esken (@EskenSaskia) February 26, 2015
TL;DR: #staycalm and #think, Herr Kraus!
Nun, wir wollen hier nicht weiter politisch werden – es geht um „guten Unterricht“, den wir alle machen, ob mit oder ohne „totale Computerisierung“ und hier im speziellen Fall um Unterricht mittels des Einsatzes der digitalen Medien. Von einer möglichen, totalen Computerisierung sind wir in Deutschland weit entfernt, die will auch wohl niemand, denn es geht – wie man so schön sagt immer um „sowohl als auch“.
Ich vertrete hier auf diesem Blog natürlich Kraft seines Mottos „Mobiles Lernen“ eher das „sowohl“ 😉 Vor einigen Tagen habe ich hier dann auch von papierfreiem Arbeiten gesprochen. Aber, es muss und darf jeder seinen Platz finden. #stayReal
Jetzt aber bitte konkret, Herr Spang: Wikifizierung des Unterrichts!
Heute möchte ich vom Einsatz von Wikis im Unterricht berichten. Hier im Blog habe ich schon öfter davon geschrieben, z.B. hier oder hier und es gibt auch einige Publikationen zum Thema Wiki im Speziellen, wie z.B. hier oder zum Thema OER im Allgemeinen wie an dieser Stelle hier, an denen ich mit arbeiten durfte. Gerade in den letzten Tagen, wurde mir wieder klar, welche großartige Plattform solch ein Wiki im täglichen Unterrichtsgeschäft sein kann. In der Regel bilde ich alle meine Klassen und Kurse auf dem Wiki, in unserem Fall dem SchulWiki Köln ab. Die einzelnen Seiten sind nicht immer unbedingt „eine Augenweide“, eben zunächst einfach ein Sandkasten, Spielwiese, Tafelbild, Unterrichtsskizze und Sammlung. Das muss man als Lehrer auch erst einmal aushalten. Doch: „Willkommen“ im Internet, das vor allem eben gerade nicht aus Hochglanzwebseiten besteht und, das wir gemeinsam verbessern sollten können.
So entstehen oft auch große Projekte und sehr gute Ergebnisse – es braucht einfach Zeit und den Input vieler Schüler und verschiedener Lerngruppen. Darin liegt die Power des Wikis.
Gerade durch die Möglichkeiten der Kollaboration und des „digitalen vernetzten Denkens und Arbeitens“, wie ein Mathematikkollege vor einigen Tagen gesagt hat, entstehen tolle Lernszenarien und ein Wandel der (Lern-)Kultur des Zusammenarbeitens. Dazu kommt die Transparenz des Arbeitens die sich Lernende und auch Eltern wünschen, die aber auch für Kollegen wohltuend und hilfreich ist, kann man sich hier doch Anregungen oder Ideen holen und sei es nur, um es besser zu machen 😉
Die Beispiele:
Die Seite des Musik Grundkurses 12 habe ich zu Beginn des jetzigen Schuljahres angelegt. Hier sind auch Links zu den vorangegangenen 12er Kursen zu finden.
Das Wiki legt ab einer gewissen Zahl von Überschriften automatisch ein Inhaltsverzeichnis an. So kann man sich leicht zurecht finden.
Ich nutze das Wiki hier, wie in vielen anderen Anwendungsbereichen zunächst einfach als Möglichkeit, digital und gemeinsam Notizen zu machen und Unterrichts- und Themenverläufe zu entwicklen.
Die freie Gestaltungsmöglichkeit des Wikis hilft den Lernenden und mir dabei, maximal flexibel zu bleiben. Wir können einfach gemeinsam Texte und Notizen eingeben, den Text dann mittels Überschriften, Aufzählungszeichen etc. formatieren und übersichtlicher machen, aber auch Medien wie Videos und Bilder einbinden. Darüber hinaus bietet das Wiki die Möglichkeit, die Lernenden selbstständig Quizzes erstellen zu lassen und diese ins Wiki einzufügen. So können die Lernenden einzelnen Themen als „Experten“ bearbeiten und am Ende eine Quizabfrage erstellen. Andere Lernende können dann die Themen lesen und ihr Verständnis mittels des Quiz überprüfen. Durch die Diskussionsfunktionen im Wiki, kann Peerfeedback gegeben werden. Und schließlich hat jeder Wikinutzer die Möglichkeit und Pflicht, kleine oder auch größere 😉 Unzulänglichkeiten im Wiki zu verbessern. Dies können z.B. Schwächen in der Formulierung, Rechtschreibung oder Kommasetzung sein.
Hier sieht man eine kleine Unterrichtssequenz zum Thema „Filmmusik“ auf dem Kurswiki des Musik Grundkurses. Die Lernenden klären zunächst in Teams einige grundlegende Begriffe.
Die Erklärungen stehen dann gleich allen zur Verfügung und dienen als Glossar. Wenn etwas fehlt, kann das Glossar jederzeit ergänzt oder umstrukturiert werden, auch in anderen Kursen oder Lerngruppen und auch Fächern. Sind die Begriffe einmal auf dem Wiki angelegt, können sie von allen genutzt und bearbeitet werden, die im Wiki als User angemeldet und eingeloggt sind. Die rot dargestellten Begriffe sind dabei noch „leere Seiten“, haben also noch keinen Inhalt und können von Lernenden noch mit Inhalt gefüllt werden. Dies könnten z.B. auch Schüler einer ganz anderen Klasse machen, die im Unterricht gerade einen „Leerlauf“ haben, weil sie gestellt Aufgaben schneller bearbeiten konnten als ihre Klassenkameraden. Hier sind viele Nutzungsmöglichkeiten denkbar. Ich probiere täglich Neues aus und die Lernenden geben mir neue Anregungen und Ideen mit auf den Weg. So lernen wir alle ständig dazu 🙂
In diesem Beispiel sieht man die Integration eines Videos, das zum Thema passt und, das die Lernenden auf YouTube gefunden haben.
Und so sieht das dann in der Bearbeitungsansicht aus:
Da die 12er bald in die Abiturphase eintreten und dann die Schule verlassen, lag es nahe einen kleinen Abschlussfilm zu produzieren. Die Idee dazu haben wir gemeinsam im Wiki entwickelt und auch erste Produktionsergebnisse, die wir auf YouTube hochgeladen haben, auch im Wiki bereit gestellt.
So sehen die einzelnen Teams sofort, wie der Entwicklungsstand des Gesamtprojektes ist und können dann ihre Beiträge entsprechend anpassen. Im letzten Schritt wird dann die Musik zu den Filme produziert und alles zusammen geschnitten. Das Wiki dient hier wieder als Speicher, Sandkasten und am Ende dann als Präsentation- und Dokumentationsplattform. Im folgenden Jahr kann dann auf die Ergebnisse des Kurses in einem anderen 12er Kurs aufgebaut werden und an den Vorlagen und Beispielen weiter gearbeitet oder auf deren Basis etwas ganz Neues entwickelt werden.
Mit einer entsprechenden „Widget-Erweiterung“ kann ein Wiki auch andere Medieninhalte darstellen. Hier zum Beispiel haben die Lernenden Präsentationen mit dem Web2.0 Tool „Prezi“ erstellt. Die Schüler nutzen dies sehr gerne, da sie gemeinsam an Präsentationen arbeiten und diese online teilen können. Ausserdem sind die Präsentationen nicht so statisch wie gängige Powerpoints.
Wiki der Klasse 6b
Nun könnte man denken, dass Wikis nur „was für die Großen sind“. Aber weit gefehlt. Die ZUM.de bietet z.B. schon Grundschulwikis an. Grundschule ist hier nicht so meine Baustelle, aber ich nutze die Wikis bereits in Klasse 5 und 6 ohne Probleme und zur Freude der Kinder.
Die regelmässige Wikinutzung erkennt man schon sofort am umfangreichen Inhaltsverzeichnis. Im Wiki haben wir z.B. unseren Beitrag für den Tag der offenen Tür geplant. Im „Projekt Stars“ haben die Schüler ihre Lieblingsbands auf einzelnen Wikiseiten vorgestellt und waren – wer hätte es anders gedacht – sehr fleißig bei der Arbeit.
Auch der Abschnitt zu „Komponisten der Romantik“ auf der Seite ist recht umfangreich geworden. Die Komponisten wurden von mir vorgegeben, die Lernenden konnten sich selbstständig in Teams zunächst in den Komponistenseiten eintragen und dann die Biografien, Musikbeispiele, etc. dort entwickeln. Neulich kam die Kritik auf, dass „Schüler ja nur aus ‚der Wikipedia‘ kopieren“, wenn sie Referate anfertigen. Diese Kritik mag berechtigt sein. Gerade wenn Schüler ein Referat anfertigen und dies ausgedruckt abgeben, ist die Versuchung groß. Im schlimmsten Fall, merkt es der Lehrer und die Note ist futsch. Im Internet offen arbeiten hat da schon andere Reichweite und Konsequenzen. Das Wiki ermahnt auch immer vor dem Speichern mit folgendem Dialog, dass Urheberrechte gewahrt und nur eigene Produkte hochgeladen bzw. gespeichert werden dürfen.
Dennoch muss man, wie in allen anderen Bereichen auch, als Lehrer stets ein waches Auge haben. Es bietet sich hier z.B. auch an, Schülerteams zu bilden, die sich um die Wikipflege kümmern und dafür besondere Kompetenzen attestiert bekommen. Über Ideen und Anregungen bin ich hier immer offen und freue mich. Die Routine hat aber gezeigt, dass die Lernenden hier sorgfältig arbeiten und gerade, wenn man das Bewusstsein schon bei „den Kleinen anlegt“, wird man hier langfristig als Gewinner hervorgehen – Gewinner in Sachen Medienkompetenz und verantwortungsvollem Umgang mit dem Netz und seinen Inhalten. So geht Lernen.
In der Klasse 6 arbeiten wir zur Zeit am Thema „Musik und Werbung“. Hier kann man die Seite noch in ihrer Entstehung begutachten:
Hier ein besonders schönes Beispiel der Kollaboration:
Die Lernenden der Klasse 6 haben , als Vorarbeit zum Thema Musik und Werbung musikalische Strukturen verschiedener Musikbeispiele analysiert. Dabei haben sie die einzelnen Teile (Strophe, Refrain) aber auch Instrumente (Klarinette, Oboe) benannt und ins Wiki geschrieben. Diese Teile und Instrumente wurden allerdings schon von einer Klasse 8 in einem anderen Zusammenhang erklärt.
So können die 6er auf die Erklärungen der 8er zurückgreifen und diese entsprechend weiter verarbeiten.
Dies ist auch der Grund, warum ich mit all meinen Klassen und Kursen auf dem Wiki präsent bin und so eine Zusammenarbeit über alle Lern- und Altersgruppen und meine beiden Fachbereiche von Anfang an anlege.
Wiki der Klasse 5
Mit meiner 5. Klasse in Musik arbeite ich bereits seit einigen Monaten mit dem Wiki. Allerdings hatten die Kinder noch keinen schreibenden Zugang zur Plattform. Dies hat sich seit zwei Wochen geändert und ich habe für kleine Teams bereits „Sandkästchen“ auf dem Wiki angelegt, in denen die Arbeit nun beginnen kann.
Im ersten Schritt schreiben alle neuen Wikinutzer jedoch zunächst auf ihren eigenen „Nutzerseiten“ die auch von außen nicht zu finden sind (Anmerkung: Das Wiki ist eine offen lesbare Plattform).
An der Versionsgeschichte des Wikis (das ist quasi das Protokoll aller Arbeitsvorgänge die auf dem Wiki gespeichert werden) sieht man, wie begeistert (hier auch an einem Freitag Abend) und ohne verpflichtende Aufgabe die 5er am Wiki arbeiten 🙂
Wiki Klasse 7 Religion
Nun habe ich viel über Musik geschrieben – klar, meine Religionskurse sind auch mit dabei. Hier ein Beispiel der 7er, die schon „alte Wikihasen“ sind und schon seit der 5. Klasse mit auf dem Wiki arbeiten.
Dementsprechend haben sie natürlich ein eigenes Klassenlogo entworfen und ins Wiki hochgeladen.
Ihre Arbeitsabläufe und Einteilungen sammeln die 7er schon selbstständig im Wiki, wie z.B. hier wo eine Unterrichtssequenz im Bereich #Gamification geplant wurde:
Zur Zeit arbeiten die 7er gerade zum Thema Freundschaft, Liebe, Partnerschaft. In der Wikiseite finden wir wieder eingebundene Videos zum Thema, aber auch Links zu Online-Umfragen mit Google Docs, die die Schüler selbst erstellt, durchgeführt und ausgewertet haben.
Und so sieht das dann wieder in der Bearbeitungsansicht aus – Sie können mit vertrauen: Für die 7er ist das ein „ganz normaler Text“ 😉
Ganz spannend auch diese Beispiele der Versionsgeschichte:
1. Ein Wikitext an dem nur eine Schülerin alleine gearbeitet hat:
2. Ein Wikitext an dem viele Schüler über mehrere Jahre gearbeitet haben:
Und hier noch ein Beispiel für einen Quiz im Wiki (hier zur Seite Martin Luther King):
Das Quiz haben Schüler der Klasse 6 erstellt und so sieht das in der Bearbeitungsansicht aus:
Nun, ich denke, ich konnte einen Eindruck erwecken, welche Möglichkeiten ein Wiki zur gemeinsamen Arbeit bieten kann. Vielleicht haben Sie Lust es mal auszuprobieren. Es ist nicht schwer, programmieren muss man dazu nicht können. Hier habe ich mal einen Online-Kurs zusammengestellt, bei dem man die Grundlagen lernen kann: Online Webinar, Uni Duisburg „Arbeiten mit Wikis“
Prof. Dr. Christian Spannagel (aka @dunkelmunkel) hat hier die Möglichkeiten von Wikis in der Schule in einem Video festgehalten:
Ich frage mich, ob der zu Anfang des Artikels zitierte Herr Kraus von all diesen Möglichkeiten der Wikifizierung des Unterrichts weiß, wenn er solche Plattitüden von sich gibt? Wer weiß.
Ich wünsche viel Spaß und Erfolg beim Unterrichten und Lernen, ob mit oder ohne totaler Computerisierung, Wikifizierung oder Analogisierung und hoffe, dass mir der Titel dieses Posts nun verziehen ist 😉
André Spang, @ #didacta15